DeinAdieu_Nicolas_Gehrig_Interview

Originalsprache des Artikels: Deutsch

Herr Gehrig, erzählen Sie uns doch von ihrem Werdegang und wie es dazu gekommen ist, dass Sie DeinAdieu.ch gegründet haben?

Nach meinem Studium in Business Innovationen arbeitete ich bei IT- und Beratungsfirmen und landete 2013 bei einem Startup-Beratungsunternehmen. Ich durfte während einiger Jahre viele Gründerinnen und Gründer begleiten und bekam hunderte digitale Plattformen zu Gesicht. Dies weckte in mir die Lust, ebenfalls etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. So startete ich 2015 mit DeinAdieu.ch und stiess aber erst nach ein paar Umwegen im Jahre 2016 auf das Nachlassfundraising. Seither haben wir DeinAdieu.ch ausgebaut und arbeiten inzwischen mit ca. 200 NonProfitorganisationen zusammen.

Auf DeinAdieu.ch kann man sich u.a. sein Testament generieren lassen. Wie viele Personen haben sich auf ihrer Seite 2022 über Erbschaften, Patientenverfügungen etc. informiert und wie viele Testamente wurden generiert?

Im Jahr 2022 knackten wir das erste Mal die Millionenmarke. Begünstigt durch das neue Erbrecht bewegten sich die letzten Monate deutlich über 200 Tausend Besucher und Besucherinnen pro Monat auf unserem Portal. Alleine innert der letzten 30 Tage wurden rund 850 Testamentvorlagen über unser Portal erstellt. Wir dürften also dieses Jahr gegen die 10 Tausend Testamentvorlagen abwickeln.

Haben Sie einen Richtwert, wie viele Personen in der Schweiz im Testament eine gemeinnützige Organisation berücksichtigen? Ist ein Trend erkennbar?

Über unsere Plattform entwickelte sich der Anteil der berücksichtigten Organisationen an der Gesamtzahl der Testamentvorlagen von 11% in den Jahren 2018/2019 auf inzwischen etwa 14%. Das sind aus unserer Sicht hervorragende Werte. Der Trend geht also über unsere Plattform leicht nach oben. Ein grösserer Hebel liegt jedoch in der Steigerung der Testierquote: Derzeit geht man davon aus, dass nur etwas 25% der Bevölkerung je ein Testament aufsetzt. Diese Quote um 5% zu steigern ist um ein Vielfaches einfacher, als die 14% um ein paar weitere Prozent zu erhöhen.

Gemeinnützige Organisationen sind Kunden von DeinAdieu.ch. Was für Dienstleistungen bieten Sie an?

Um die vorhin erwähnte Testierquote zu erhöhen, brauchen alle Organisationen mit mehr als ein paar Hundert Spendenden, Instrumente, um Mitglieder, Klienten, Spender und Spenderinnen etc. bei der Nachlassregelung effizient zu unterstützen. Denn ohne Massnahmen wird die Zielgruppe zu 75% kein Testament aufsetzen. Unsere beiden Kerndienstleistungen sind:

a) Online Testament-Tool zur kostenlosen Generierung von rechtsgültigen Testamentvorlagen.
b) Kostenlose Nachlassberatung in Zusammenarbeit mit unseren Erbrechtsspezialisten.

Dazu gibt es viele weitere kleine Hilfsmittel. All diese Instrumente werden zum einen auf der Website der Organisation eingebunden und dienen der alleinigen Berücksichtigung der Quellorganisation. Zum anderen werden die Instrumente auch von Tausenden Besuchern der Plattform DeinAdieu.ch genutzt. Über diese «User Journey» schlagen wir den potentiellen Erblassern die Berücksichtigung einer Organisation vor.

Das neue Erbrecht ist per 1. Januar in Kraft getreten. Was hat das für Auswirkungen auf mögliche Legate an gemeinnützige Organisationen?

Rein rechnerisch steigt durch die abgeschafften bzw. gesenkten Pflichteile für Eltern/Kinder die kumulierte freie Quote um einige Milliarden. Eine Erblasserin kann also unter Umständen über einen grösseren Teil des Erbes frei verfügen und mehr an eine Organisation vermachen.
Viel wichtiger ist aber, dass sich die Leute an sich mit dem Thema auseinandersetzen. Dieses Ziel ist aus unser Sicht bereits erreicht: Zahlreiche Medien greifen das Thema seit Monaten auf und bescheren auch uns hohe Zugriffszahlen.

Da es sich auf DeinAdieu.ch um Inhalte handelt, die juristisch genau geregelt sind, stellt sich die Frage, inwieweit Juristen und Juristinnen in den Betrieb von DeinAdieu.ch eingebunden sind?

Juristinnen und Juristen sind bei DeinAdieu.ch routinemässig in viele Prozesse eingebunden: Juristen verfassen unsere Ratgeberartikel und wirken unterstützend bei der Weiterentwicklung der Webapplikation sowie bei Datenschutzthemen. Zudem verfügen wir über ein grosses Netzwerk an Partneranwälten – ein Teil dieser Erbrechtsspezialisten steht für die kostenlose Erstberatung zur Verfügung. Mit anderen bestreiten wir jährlich einige Erbrechtsveranstaltungen.

Herr Gehrig zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Thematisch gesehen geht es bei DeinAdieu.ch um den letzten Willen, ums Ableben. Inwieweit hat die ständige Konfrontation mit diesem Thema Sie als Person verändert?

Die Endlichkeit des Lebens ist mir schon seit jungen Jahren sehr bewusst und deshalb versuche ich es gut auszukosten. Dieses Bewusstsein hat sich in den letzten 8 Jahren sicher nochmals ausgeprägt. Dabei waren vor allem die Begegnungen mit Fachpersonen, mit Interviewpartnern oder ethische Fragestellungen sehr spannend. Insgesamt befasse ich mich aber in der alltäglichen Arbeit vor allem mit meinem Team, mit der Kundenpflege sowie mit der Anwendung verschiedener Technologien. Im Vordergrund stehen folglich unser Produkt, Kennzahlen, Onlinemarketing, Prozesse, Automatisierung und alles was zum Betrieb einer Firma gehört. Aktuell beschäftigt mich insbesondere unser Markteintritt in Deutschland, der derzeit im Gange ist. Ich setze mich also erstaunlich wenig mit dem Ableben an sich auseinander.

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