Interview Lotus for Laos

Originalsprache des Artikels: Deutsch

Frau Ehrat, erzählen Sie doch zum Einstieg, wer Sie sind und wie es dazu gekommen ist, dass Sie heute bei Lotus for Laos als Kommunikationschefin arbeiten.

Sehr gerne! Ich bin Isabel Ehrat und wohne und arbeite in Zürich in der Strategieberatung. Ich bin in Zug aufgewachsen und schon während meinen Schuljahren, war die Sozialarbeit ein grosses Thema. Ich kann mich gut erinnern, wie ich über die Jahre bei zahlreichen Wohltätigkeitsverkäufen mitgemacht habe für diverse Projekte, die meine Schule unterstützt hat. Nach meinem Schulabschluss habe ich meinen Bachelor an der Universität St. Gallen begonnen. Anfangs habe ich mich vor allem auf das Studium konzentriert, aber schnell hat mir die Wohltätigkeitsarbeit gefehlt. Zur gleichen Zeit hat eine langjähre Freundin von mir, Franzisca Gartenmann, auch an derselben Universität begonnen. Wir kamen immer mehr ins Gespräch, dass ich in ihrer Stiftung «Lotus for Laos» beitreten würde. Im März 2019 kam es dann auch offiziell dazu, gleichzeitig wie zwei andere Mitglieder, die Franzisca in ihrem Studium kennengelernt hatte. Die Stiftung brauchte mit diesem grösseren internen Wandel eine neue Struktur. Ich kam zu meiner Rolle als Kommunikationschefin, da ich zuvor in einem anderen Studentenverein eine ähnliche Rolle hatte. Unter anderem betreue ich seit dem unsere Medienkanäle und baue potentielle Partnerschaften auf.

Wer steht hinter der Organisation Lotus for Laos – wer sind die Gründer/innen?

«Lotus for Laos» wurde im Januar 2014 von Franzisca Gartenmann und drei ehemaligen Mitgliedern gegründet, um das Projekt «Scholarships for a Better Future» offiziell mit den ersten CHF 10’000 zu starten. Diese erste Spende ermöglichte 15 jungen Laoten und Laotinnen den Gang an die lokale Universität. In den darauf folgenden 5 Jahren wuchs die junge Organisation an Spenden sowie auch an der Anzahl aktiver Stipendiaten. Bedingt durch Studium und Freundschaft, ergab sich im März 2019 für Hanna Ekberg, János Benz und für mich die Möglichkeit dem NGO beizutreten. Das neue Team setzte sich zum Ziel, Zweck und Werte von Lotus for Laos weiter auszuarbeiten und klare Wachstumsziele zu definieren. Mit einer «frischen» Sichtweise auf Wohltätigkeitsarbeit und dem akademischen Hintergrund in der Wirtschaftsbranche wurde somit eine neue Strategie entwickelt. Im Jahr 2020 traten Margaux Headon und Luca Imesch bei, was die Organisation auf sechs Mitglieder steigerte, welche sich neben Job und Studium mit viel Herzblut für das Projekt einsetzen. Wobei alle klaren Rollen und Verantwortlichkeiten haben, verlässt sich das Team aufeinander und ergänzt sich je nach Situation. Intern ist Transparenz, Agilität und Kommunikation ein A und O, so dass sich jeder gerade dort engagiert, wo das grösste Bedürfnis besteht.

Lotus for Laos setzt sich gemäss Webseite für die Bildung von verwaisten Jugendlichen in Laos ein. Weshalb ist es entscheidend, genau dieser Zielgruppe zu helfen?

Der Grund warum unsere Stiftung sich auf Laos konzentriert, ist eine ungewöhnliche Geschichte. Diese beginnt mit Evelyne Spargaaren, einer Grundschullehrerin, welche auf ihrer Hochzeitsreise in einem kleinen Hotel namens «Lotus Villa» in Luang Prabang unterkommt. Besitzer ist Andrew Brown, welcher Evelyne das örtliche Waisenhaus zeigt, welches er damals über den Umsatz des Hotels unterstütze. Berührt von der Atmosphäre aber auch der Bescheidenheit, teilt sie ihre Eindrücke mit der Familie Gartenmann, die 2012 auch durch Laos reist. Franzisca Gartenmann, die älteste Tochter (damals 15), wurde bereits in frühem Alter mit zu Entwicklungsprojekten nach China genommen und wuchs mit der Wohltätigkeitsarbeit ihrer Mutter auf. Nach einem weiteren Besuch in 2013 und einigen Spendenaktionen, entschliesst sich Franzisca zusammen mit Evelyne und zwei weiteren Frauen, Lotus for Laos zu gründen. Anlass war die Zusprache der ersten CHF 10’000, welche das Projekt «Scholarships for a Better Future» ermöglichten. In diesem ersten Jahr konnten 15 junge Laoten die Universität besuchen. Seitdem ist das Projekt stark gewachsen und wir unterstützten momentan mehr als 130 Stipendiaten.

Sie erwähnen auf der Webseite, dass Stipendien vergeben werden. Welche Kriterien müssen seitens Student/in erfüllt sein, dass eine Förderung mittels Stipendium gesprochen wird?

Die Auswahl der Stipendiaten wird auf drei Ebenen getroffen:

  1. Unterstützt werden nur Halb- oder Vollwaisen und/ oder Jugendliche, die sogar für laotische Verhältnisse unter dem Existenzminimum leben, und somit alle ihren Weg an das staatliche Waisenhaus gefunden haben.
  2. Lotus for Laos kann nur Stipendiaten unterstützen, welche den akademischen Leistungsanforderungen der lokalen Universitäten gewachsen sind und dies durch das Bestehen der Aufnahmeprüfung zeigen konnten.
  3. Die letzte Entscheidungsinstanz ist Andrew Brown, welcher vertraglich als Projektleiter von Lotus for Laos tätig ist. Da Laos bis vor Covid-19 eine boomende Tourismusindustrie hatte, haben einige der Studenten durch aufgeweckte Persönlichkeiten und erste Englisch-Kenntnisse die Chance dort Fuss zu fassen. Andrew hat hierbei den Auftrag von Lotus, die Kinder zu bevorzugen, denen sich keine anderen Möglichkeiten bieten. Dies führt dazu, dass wir viele junge Frauen unterstützen, die tendenziell nicht nur schüchterner sind, sondern deren Alternative nicht nur ein Leben auf dem Reisfeld ist, sondern auch eine frühe Heirat mit Kindern.
Lotus for Laos ist eine Schweizer Organisation mit Sitz in Zürich. Uns ist es wichtig klar und transparent zu kommunizieren, dass es nicht an uns liegt eine Auswahl der Stipendiaten zu treffen. Die letzte Entscheidung liegt bei Andrew Brown, der die Hintergrundinformationen hat, um situativ zu entscheiden, wo die grösste Bedürftigkeit liegt.

Bei der Vergabe eines Stipendiums muss sichergestellt sein, dass das Geld zweckmässig verwendet wird. Wie schaffen Sie das?

Lotus for Laos investiert hundert Prozent der Spenden in das Stipendienprogramm. Ein Stipendium kostet jährlich USD 670 pro Student, was nicht nur Universitätskosten, sondern auch eine Unterkunft und eine Mahlzeit am Tag abdeckt. Die Universität sowie die Unterkunft werden direkt bezahlt, wobei die Studenten ihr «Taschengeld» alle zwei Monate bei Andrew abholen müssen. Für uns ist ein Projektleiter vor Ort zentral für die Sicherstellung der Zweckmässigkeit, da er bei diesem Kontakt alle zwei Monate herausfindet, wie es den Studenten geht und ob sie immer noch aktiv im Studium sind. Franzisca hat mehrmals an solchen Treffen teilgenommen und mit eigenen Augen die Effektivität des Systems gesehen, als Andrew innert Minuten Jugendliche rausgepickt hatte, die nicht Teil des Projekts waren. Zentral ist auch Andrews laotische Frau, welche durch Sprache und Kulturverständnis das lokale System viel effizienter navigieren kann und sicherstellt, dass Gelder zweckmässig eingesetzt werden.

Wie sieht das Budget einer Studentin/ eines Studenten in Laos ungefähr aus?

Ein Stipendium kostet USD 670 pro Jahr und deckt Studiengebühren, Unterkunft und eine Mahlzeit pro Tag. Die Fixkosten werden direkt bezahlt, während Andrew das Taschengeld jeden zweiten Monat persönlich aushändigt, so dass ein persönlicher Kontakt zu den Schülern gewährleistet ist. Auch wenn dies für Schweizer Verhältnisse nicht viel ist, muss man dabei beachten, dass eine lokale Mahlzeit in Luang Prabang nicht mehr als wenige Franken kostet.

Dürfen die Stipendiaten/ Stipendiatinnen auch auswählen, an welche Hochschule sie gehen und was sie studieren oder entscheiden Sie mit?

Was Lotus for Laos von vielen anderen NGOs unterscheidet, lässt sich grösstenteils anhand von dieser Frage beantworten. Bereits bei der Gründung wurde zwischen Hilfe und Ermächtigung (=Empowerment) unterschieden. Lotus versteht sich darin, Menschen in ihrem lokalen Kontext zu ermächtigen und zu stärken, ohne von aussen in ein System einzugreifen und dieses nach westlichem Verständnis verändern zu wollen. Dementsprechend entscheiden die Stipendiat:innen selber, welchen akademischen Weg sie gehen wollen und welches Studium sie an welcher Universität verfolgen. Als Organisation ist es unser Zweck akademische Chancen zu schaffen, wobei es an den Stipendiaten selbst liegt, diese zu nutzen, um den Schritt in die Selbstbestimmung zu machen.

Bei fundraiso.ch ist das Thema Fundraising immer ein Thema. Welche Strategie verfolgen Sie da und was sind Ihre typischen Spender/innen?

Unsere Stiftung erhält die meisten Spenden von Schweizer Stiftungen, Grossunternehmen und privaten Spendern. In den vergangenen Jahren haben uns oft Schweizer Stiftungen oder Firmen sehr grosszügige, einmalige Spenden gegeben. Für die Zukunft hoffen wir, dass wir mit den bestehenden und auch neuen Geldgebern vermehrt langfristige Beziehungen aufbauen können. Darüber hinaus wollen wir unsere Finanzstrategie diversifizieren. Während der Pandemie sind die Spenden von Einzelpersonen deutlich zurückgegangen, was eine Schwachstelle in unserem System aufzeigt. Wir suchen daher nach Partnern, um alternative Einnahmequellen aus kommerziellen Partnerschaften zu erschliessen, z.B. durch die Wiederverwendung von Lagerbeständen, die sich nur langsam bewegen. Im November wird unsere erste Kollaboration mit einer Schweizer Firma angekündigt. Das Unternehmen teilt viele unserer Grundwerte. Das ist für uns sehr wichtig, wenn wir Partnerschaften eingehen.

Am 20. November (13.00 Uhr) organisieren wir zusammen mit der TASNA Association eine Benefizveranstaltung im Circus Conelli. Neben der normalen Veranstaltung, welche sich super für Firmenanlässe und Familien eignet, stellen die Organisationen ihre Projekte vor, wobei jegliche Einnahmen über den organisierten Markt in der Manege zu hundert Prozent für die Kinder eingesetzt werden. Holen Sie sich jetzt ein Ticket: https://tasna-association.ch/ihre-hilfe/benefizanlaesse/

Welche Erfahrungen machen Sie mit digitalen Spenden und sehen Sie hier noch unausge- schöpftes Potential?

Viele unserer Spenden fliessen durch unsere Website ein, die mit unserem Onlinebanking verknüpft ist. Zudem können wir seit 2021 auch Spenden via Twint einnehmen. Der QR-Code kann auf unserer Website wie auch auf unserem LinkedIn und Instagram gefunden werden. Das Ausschöpfungspotenzial von digitalen Spenden ist aber noch lange nicht erreicht. Durch die sozialen Medien und vermehrten zukünftigen Kollaborationen, seien diese mit anderen Stiftungen oder Brands, hoffen wir auf verstärkte Einnahmen online. Da sich die digitale Welt konstant verändert, müssen wir dies auch tun, um unsere breite Zielgruppe zu erreichen.

Zum Abschluss – was sind die kommenden Meilensteine für Lotus for Laos?

Lotus for Laos hat sich für die nähere Zukunft drei Hauptziele gesetzt.

  1. Scholarships for a better future: Lotus for Laos fördert derzeit 130 Studenten im Rahmen des Stipendienprogramms. Aufgrund der Pandemie konnten zahllose junge Laoten nicht an der Aufnahmeprüfung für die Universität teilnehmen und mussten ihr Stipendium verfallen lassen. Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Studierenden, die auf diese finanzielle Unterstützung angewiesen sind, in den nächsten zwei Jahren signifikant steigen wird. Ziel ist es, die Zahl der Studierenden kurzfristig auf mindestens 140 zu erhöhen, wobei langfristig alle Studenten unterstützt werden sollten, denen die finanziellen Mittel fehlen.
  2. Finanzielle Strategie: Wir arbeiten an mehreren potenziellen Verträgen und streben an, in diesem Jahr mindestens eine kommerzielle Zusammenarbeit abzuschliessen. Wir suchen aktiv nach Unternehmen, die ähnliche Werte teilen und über ihre kommerzielle Tätigkeit Projekte mit hoher Wirksamkeit unterstützen.
  3. Decolonizing Aid: In den letzten Jahren wurde die Berechtigung und Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit immer mehr hinterfragt. Ein wichtiger Kritikpunkt ist das Wiederholen der Vergangenheit: mächtige westliche Länder zwingen ihre Überzeugungen, ihre Kultur und ihre Weltsicht denjenigen auf, die bereits eine postkoloniale Last tragen. Lotus for Laos präsentierte einige Gedanken zu diesem Thema auf dem kürzlich von Ignazio Cassis veranstalteten Forum für internationale Zusammenarbeit und stellte fest, dass ein klarer Bedarf für einen Raum besteht, der solche Gespräche erleichtert. Ziel ist es nicht nur das traditionelle Bild der Wohltätigkeitsarbeit zu verändern, sondern bessere Ansätze für mehr Wirksamkeit zu finden.

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