Originalsprache des Artikels: Deutsch

Herr Eberle, erzählen Sie uns doch zum Einstieg wie es dazu gekommen ist, dass Sie heute Geschäftsführer der FSD – FONDATION SUISSE DE DÉMINAGE sind und dazu noch Stiftungsratsmitglied bei der Urs Endress Stiftung?

Ich war Jahre beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) tätig, unter anderem auch in den Kriegsspitälern des IKRK. Die Kriegsopfer waren oft Frauen und Kinder, die von Landminen verletzt wurden. Das hat mich berührt. Noch vor 25 Jahren wollte aber das IKRK nichts mit Minenräumung zu tun haben – das sei die Aufgabe derjenigen, die die Minen gelegt hätten, so hiess es damals. Die Armeen haben aber meist andere Prioritäten als die humanitäre Minenräumung. Ich gründete dann 1997 zusammen mit Freunden die FSD. Dies ist bis heute die einzige Schweizer Organisation, die mit eigenen Minenräumern in verschiedenen Ländern Minen und explosive Kriegsüberreste räumt.

Urs Endress hat sich vor ein paar Jahren zum Ziel gesetzt, die Minenräumung mit einer Drohne und spezialisierten Sensoren effizienter zu machen. Er gründete die Urs Endress Stiftung und verfolgt seither hartnäckig diese Idee. Eine gute Idee, aber ein schwieriges Unterfangen: Die meisten Projekte mit ähnlichen Zielen sind bisher gescheitert. Konkret finanziert die Urs Endress Stiftung verschiedene universitäre Forschungsteams in Deutschland und in der Schweiz. Die FSD unterstützt das Vorhaben mit Rat und Tat, und deshalb bin ich auch im Stiftungsrat. Die “FindMine” Drohne ist mit einem von Grund auf neu entwickelten Bodenradar ausgerüstet, und es ist vorgesehen, erste Feldtests nächstes Jahr im Rahmen eines FSD-Minenräumungsprogramms durchzuführen.

Was macht die FSD genau und in welchen Regionen der Welt ist sie tätig?

Die FSD ist vor allem eine humanitäre Minenräumungsorganisation. Wir rekrutieren unsere Minenräumer/innen direkt in den betroffenen Ländern und bilden sie auch selbst aus. Auch die eigentlichen Minenräumungsoperationen führen wir selbst durch. Die FSD arbeitet derzeit in Afghanistan, Irak, Tadschikistan, den Philippinen, in Kolumbien, in der Ukraine sowie in der Zentralafrikanischen Republik. Die FSD macht aber nicht nur Minenräumung, sondern kümmert sich um Pestizid-Altlasten in Zentralasien, die ebenfalls eine Gefahr in Böden und somit für die Zivilbevölkerung darstellen. Zudem betreiben wir Projekte im Bereich Wiederaufbau nach einem Konflikt. In Zentralafrika helfen wir beispielsweise ehemalige Rebellen wieder ins Zivilleben zu integrieren und die Sicherheitsinfrastruktur des Landes aufzubessern. In der Ukraine haben wir uns jahrelang um Hunderte vernachlässigter Schulen entlang der ehemaligen Donbass-Frontlinie gekümmert.

Erzählen Sie doch uns Laien über die heutigen Möglichkeiten in der Minenräumung. Wie sehr muss sich der Mensch heute noch den Gefahren selber aussetzen bzw. wie stark übernehmen Drohnen und Roboter heute die Arbeit der Lokalisierung / Entschärfung von Minen?

Trotz neuester Technologien ist das grundlegende Verfahren, um Minen zu lokalisieren seit Jahrzehnten dasselbe: Minenräumer/innen suchen die Minen mit Metalldetektoren. Wenn der Detektor fündig wird, muss der Boden mit grösster Sorgfalt untersucht werden. Bestätigt sich der Verdacht, so wird sie unter strikten Sicherheitsvorkehrungen entschärft. Dieses Unterfangen ist natürlich sehr heikel.

Zur Unterstützung der Minenräumer/innen kommen manchmal auch schwere Maschinen zum Einsatz, um die Vegetation vor der Räumung zu entfernen, oder um flaches landwirtschaftliches Land nach möglichen Minen zu untersuchen. In manchen Fällen kommen auch Minensuchhunde zum Einsatz, jedoch nicht zur eigentlichen Minensuche, sondern meist zur Qualitätskontrolle in bereits geräumten Gebieten.

Von Satelliten und Drohnen erhobene Daten spielen eine immer grössere Rolle in der Minenräumung. Mit diesen Daten kann die technische Evaluation beschleunigt werden. Dabei geht es darum, abzuklären, ob es in einem gefährlichen Gebiet möglicherweise Minen gibt.

Zum Fundraising: Die FSD finanziert sich aus Spenden. Gemäss Ihrer Webseite betrug das Organisationsbudget im Jahre 2021 26 Millionen Franken. Welche Rolle nehmen für Ihre Fundraisingaktivitäten institutionelle Geldgeber wie Firmen, öffentliche Einrichtungen oder Stiftungen ein?

Den Grossteil unseres Budgets schultern Regierungsinstitutionen, vor allem die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und UNO-Organisationen. Diese Gelder sind in der Regel zweckgebunden. Sie werden jedoch oft aus politischen Überlegungen gesprochen, und sie können auch sehr schnell wieder versiegen. Wir machen seit 2018 auch Fundraising gegenüber Stiftungen in der Schweiz und Liechtenstein, und zwar mit einigem Erfolg. Dabei hat uns die Datenbank von fundraiso.ch enorm geholfen. Dank unserer Street-Fundraising-Kampagnen können wir auf die Unterstützung von rund 7000 Privatspender zählen, die uns jeden Monat einen Betrag zukommen lassen. Spenden von Privaten und Stiftungen verleihen unserer Organisation und somit unseren Projekten Planungssicherheit. Um einen nachhaltigen Wandel in einem betroffenen Gebiet zu schaffen, gehört es eben dazu auch langfristig vor Ort zu sein und das wird durch unsere weiteren Förderer gewährleistet. Oftmals werden unsere Mitarbeiter mit Problemen konfrontiert, die den Rahmen der bereits existierenden Projekte überschreiten. Zusätzliche finanzielle Flexibilität erlaubt es uns, schnell dort Hilfe zu leisten, wo sie gerade gebraucht wird.

Sprechen Sie doch über die Herausforderungen in der Gewinnung / Bindung institutioneller Spender/innen.

Die grösste Herausforderung stellt wohl die Menge und auch Qualität unserer „Konkurrenten“ beim Fundraising dar. Von zahlreichen Stiftungen und auch Gemeinden/Städten bekommen wir dieser Tage zu hören, dass die Anzahl an Förderanfragen kaum zu bewältigen sei. Es gibt zahllose Probleme auf dieser Welt und dadurch auch viele Projekte, die zweifelsohne Unterstützung verdienen. Unter all diesen als das dringlichste oder wirkungsreichste herauszustechen gleicht einer Herkulesaufgabe. Wir stellen auch fest, dass es meist nicht reicht, eine Förderstiftung mit einem guten Projekt anzuschreiben und dann auf eine vertrauensvolle Diskussion zu hoffen. Heute geht der Weg meist über eine Webseite und einen Online-Anfrageprozess. Viele Stiftungen haben heute eigene Konzepte, Prozesse und Formulare entwickelt, um der Anfrageflut Herr zu werden. Leider gibt es in diesem Bereich noch keine Standards, und der Aufwand der NGOs, sich diesen verschiedenen Prozessen anzupassen ist sehr hoch. Es ist eigentlich schade, dass der Fundraising-Prozess gegenüber institutionellen Prozessen derart viele Ressourcen auf Seiten der NGOs wie auch auf Seiten der Geldgeber schluckt, die man eigentlich lieber den Begünstigten zukommen lassen möchte. Es ist ein schmaler Grat, zu wenig Kontrolle ist natürlich auch nicht zielführend. Umso besser, wenn sich ein gesundes Verhältnis aufbauen lässt, in welchem Qualität und Zuverlässigkeit schnell für Vertrauen sorgen.

Welche Bedeutung misst eine international tätige Organisation wie die FSD möglichen institutionellen Spendern im Ausland bei – so bspw. Stiftungen & Trusts im englischsprachigen Raum?

Wir sehen ein enormes Potential an Fördermitteln, welches jedoch nur schwer zugänglich ist. EU-Länder sind weniger attraktiv, da die bürokratischen Hürden sehr hoch sind und oftmals Gelder nur landesintern vergeben werden. Wir überlegen uns derzeit, wie man an die Fördertöpfe der amerikanischen Stiftungen gelangen kann. Eine Voraussetzung hierfür ist eine amerikanische Steuerbefreiung. Wir haben die entsprechenden Anträge aufgegleist und warten noch auf eine Bestätigung. Mit dieser könnten wir zumindest theoretisch unseren Kreis an Förderern ausweiten. Ob jedoch in Übersee grosses Interesse an unserer Arbeit besteht, müssen wir erst noch herausfinden. Aus diesen Gründen sind Schweizerische und Liechtensteinische Stiftungen für uns sicherlich weiterhin von höchster Bedeutung.

Die FSD ist auch auf dem Markt der Einzelspender/innen unterwegs. Und zwar digital – denn auf donorbox.org heisst es, dass die FSD dank Donorbox 50% mehr Mittel beschaffen konnte. Wie stark vereinfacht eine Plattform wie Donorbox das Handling von Einzelspenden und welchen Organisationen würden Sie diese Plattform empfehlen?

Donorbox stellt für uns ein sehr flexibles Werkzeug dar, mit dessen Hilfe Zahlungen zuverlässig abgewickelt werden können. Donorbox ist eine interessante Alternative zu RaiseNow, weil praktisch keine Fixkosten für das Spendenformular auf unserer Webseite anfallen. Auch das Aufschalten des Donorbox-Formulars ist sehr einfach. Das macht Donorbox wohl gerade auch für kleine NGOs sehr interessant. Ob wir deshalb aber tatsächlich 50% mehr an Spenden erhalten werden? Sicher wachsen unsere Einnahmen über Donorbox jeden Monat – die Summe der Spenden per Direktüberweisung auf unser Bankkonto ist immer noch wesentlich höher als die Einnahmen über das Spendenformular auf unserer Webseite. Leider machen die Online-Spenden bei uns immer noch nur einen sehr kleinen Teil der Einnahmen aus. Wir nehmen aber an, dass sich dieses Gleichgewicht in den kommenden Jahren verändern wird.

Zum Abschluss – Ihre Stiftung ist auch in der Ukraine tätig. Wie sehen da aktuell die Aktivitäten der FSD aus? Kann man direkt für die Arbeiten in der Ukraine spenden?

Wir sind bereits seit 2015 im Donbass tätig. Dank unserem Minenräumungseinsatz konnten rund 5 Millionen Quadratmeter Land für die zivile Nutzung freigegeben werden. Diese Aktivitäten fanden im Februar diesen Jahres ein jähes Ende. Viele unserer Mitarbeiter traten die Flucht an. Diejenigen, die sich entschieden haben zu bleiben führten FSD-Nothilfemassnahmen in Transitzentren durch, wobei Grundbedürfnisse (Nahrung, Trinkwasser, Hygiene, Kleidung) gestillt wurden. Schutzunterkünfte wurden mit provisorischen Betten und Beleuchtungsanlagen ausgestattet. Die Einsatzzentralen in Sloviansk und Mariupol mussten letztendlich jedoch aufgegeben werden. Seither laufen die Planungen für eine Wiederaufnahme der Minenräumung in befreiten Gebieten. Künftig wird die FSD in Tschernihiw tätig sein, einem Regierungsbezirk, der seit Beginn des Konflikts in Kampfhandlungen involviert war. Zahlreiche Dörfer und Städte wurden in den letzten Monaten zerstört und mit Blindgängern sowie Minen übersät. An einen Wiederaufbau oder eine erneute Nutzung ist erst zu denken, wenn die Minenräumer/innen ihre Arbeit verrichtet haben. Die Not ist gross und die Minenräumungskapazität kaum ausreichend. Wir sind daran 8 Teams für Minenräumung, 2 Teams für die Beseitigung von Schutt und Trümmern, 3 Teams für Risikoaufklärung und 2 Teams für Voruntersuchungen aufzubauen. Diese Teams kommen in den nächsten Wochen bereits zum Einsatz. Grösstenteils konnte deren Finanzierung zum Glück schon gedeckt werden. Selbstverständlich können sich private Spender auch an unserem Vorhaben direkt beteiligen. Das wäre äusserst hilfreich, da Schätzungen zufolge rund 25% der ukrainischen Agrarflächen nicht mehr bewirtschaftet werden können. Dies wird weitreichende Folgen für die globale Ernährungssicherheit haben. Wir arbeiten deshalb akribisch am Aufbau eines Teams für die Sicherstellung landwirtschaftlicher Gebiete. Für diese Aktivitäten fehlen uns jedoch bisher noch die finanziellen Mittel.

Veröffentlicht unter Fundraising, Interview

Öffentlich Kommentieren