20191211_VWS_Mitarbeiter-Portraits_17_Georg_Schuette_017

Bildrechte: © Philip Bartz für VolkswagenStiftung
Originalsprache des Artikels: Deutsch

Dr. Schütte, erzählen Sie uns doch etwas über sich und wie es dazu gekommen ist, dass Sie heute der Generalsekretär der VolkswagenStiftung sind.

Wenn ich in der Chronologie vom Ende her beginnen darf: Die VolkswagenStiftung hatte ich schon vor meinem Amtsantritt zum 1. Januar 2020 näher kennengelernt: als Mitglied im 14-köpfigen Kuratorium, das über Bewilligungen und Strategie der Stiftung entscheidet. Damals war ich noch Staatssekretär im deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die Kuratoriumssitzungen am Stiftungssitz in Hannover waren häufig Highlights. Am Tisch sitzen dort einerseits herausragende Forschende aus verschiedenen Disziplinen, zum anderen Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wirtschaft. Diese Perspektivenvielfalt sorgt für viele inspirierende, häufig auch kontroverse, immer aber konstruktive Diskussionen, die ich bis heute als persönliche Bereicherung empfinde. Als sich die Chance bot, sich um das Amt des Generalsekretärs zu bewerben, habe ich deshalb nicht lange gezögert. Mitgebracht habe ich nicht nur meine Erfahrung als Staatssekretär von 2009 bis 2019. Ich war davor noch sechs Jahre lang Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung und drei Jahre lang Direktor der Deutsch-Amerikanischen Fulbright-Kommission. Das Wissenschaftsmanagement habe ich also von der Pike auf gelernt, immer im internationalen Kontext.

Die VolkswagenStiftung entstand nicht, wie viele in der Schweiz meinen, als klassische Unternehmensstiftung aus der heutigen Volkswagen AG. Können Sie uns kurz die Entstehungsgeschichte schildern?

Wie Sie wissen, wurden die Volkswagenwerke in der Zeit des Nationalsozialismus gegründet. Ihr Zweck war die Herstellung von Rüstungsgütern. In der Nachkriegszeit gab es dann in Deutschland eine große Debatte darüber, wer hier Eigentumsansprüche geltend machen könnte. Der Streit wurde 1961 mit einem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Niedersachsen beigelegt: Das Volkswagenwerk wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und privatisiert. Bund und Land behielten je 20 Prozent der Anteilsscheine, der Rest ging als sogenannte „Volksaktien“ in Streubesitz. Der Erlös, der damals beim Börsengang erzielt wurde - eine Milliarde D-Mark - wurde zum Startkapital für unsere gemeinnützige Stiftung. Wegen dieser Entstehungsgeschichte heißt sie heute VolkswagenStiftung – obwohl es sich eben nicht, wie Sie zurecht sagen, um eine Unternehmensstiftung handelt. Mehr noch: Unsere institutionelle Unabhängigkeit ist gewissermaßen eines unserer Assets.

Können Sie uns einige Eckdaten zur VolkswagenStiftung nennen und was die Stiftung genau fördert?

Da antworte ich erstmal stenografisch: etwa 100 Mitarbeitende in der Geschäftsstelle in Hannover. In den 60 Jahren unseres Bestehens haben wir 6,2 Mrd. Euro für 34.600 Bewilligungen bereitgestellt. 2022 haben wir mit 300 Mio. Euro an Fördergeldern eine neue Rekordmarke geknackt. Das alles zusammengenommen macht uns zur größten privaten Wissenschaftsförderin in Deutschland. Unser Stiftungszweck, ich zitiere aus der Satzung, ist die „Förderung von Wissenschaft und Technik in Forschung und Lehre“. Unser Portfolio gliedert sich, grob gesagt, in zwei Bereiche: Die „Allgemeine Förderung“, die mit den ordentlichen Erträgen aus unserem Stiftungskapital finanziert wird, derzeit 3,9 Mrd. Euro. Und zum anderen gibt es ein eigenes Förderprogramm für die Wissenschaft im Bundesland Niedersachsen, in dessen Landeshauptstadt wir ja auch unseren Sitz haben. Dieses Programm für Niedersachsen finanziert sich vor allem aus Dividenden auf 33 Mio. VW-Aktien, die vom Land Niedersachsen gehalten werden, deren Erträge aber der VolkswagenStiftung zufließen – um, wie gesagt, mit diesem Geld Spitzenforschung in Niedersachsen zu ermöglichen.

Welche Rolle haben private Förderstiftungen in der Forschung in einer Zeit, wo Horizon Europe und andere staatliche Förderprogramme stark ausgeprägt sind.

Gemessen an der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), um ein willkürliches Beispiel aus meinem Heimatland zu wählen, sind wir ein kleiner Fisch. Die DFG hat zuletzt 3,6 Mrd. Euro an öffentlichen Fördergeldern verteilt. Wir haben nicht einmal zehn Prozent dieses Budgets zur Verfügung. Trotzdem empfinden viele Spitzenforscherinnen und -forscher eine Förderung durch die VolkswagenStiftung als eine Auszeichnung. Warum? - Weil wir solchen Themen eine Chance geben, die wahrscheinlich erst übermorgen eine hohe Relevanz haben werden, die heute noch keiner auf dem Zettel hat, geschweige denn, dass ein öffentlicher Förderer dafür Geld geben würde. Wir hingegen schwimmen im besten Fall vor der Welle. Öffentliche Förderprogramme verfolgen auch politische und wirtschaftliche Ziele, bedienen gesellschaftliche Debatten und Trendthemen. Unsere Indikatoren heißen: Originalität, Qualität, Zukunftspotential. Wenn es gut läuft, bereiten wir mit Pilotvorhaben das Feld, das dann später von anderen Förderern hochskaliert wird. Um es ganz unbescheiden auszudrücken: Wenn öffentliche Förderer mit dreistelligen Millionen- oder gar mit Milliardenbeträgen bei einem Thema einsteigen, etwa Künstliche Intelligenz oder antivirale Wirkstoffforschung, ist es bei uns oftmals längst durch. Dank unserer finanziellen und politischen Unabhängigkeit können wir uns unsere Schwerpunkte selbst setzen. Deshalb auch können wir schneller agieren, unbürokratischer handeln und auch Spitzenforscherinnen und -forscher in der Frühphase ihrer Karrieren voranbringen. All das nicht im Wettbewerb mit öffentlichen Förderern, sondern komplementär.

Welche Impulse versucht die VolkswagenStiftung im Besonderen zu setzen?

Unser Portfolio an Förderangeboten ist breit und wird ständig angepasst. Nicht an flüchtige Trends, sondern an das, was „Wissenschaft von übermorgen“ braucht, damit sie Wirkung entfaltet. Ein Beispiel: Wir haben nur wenige Wochen nach dem deutschen Lockdown im März 2020 eine Ausschreibung „Corona Crisis and Beyond – Perspectives for Science, Scholarship and Society“ gestartet. Wohlgemerkt in den Homeoffices entwickelt, in denen sich alle 100 Mitarbeitenden von einem auf den anderen Tag wiederfanden. Binnen sechs Wochen gab es mehr als eintausend Anträge. Daraus sind viele Projekte hervorgegangen, die nicht nur in den Fachjournalen, sondern auch von Populärmedien aufgegriffen wurden und immer relevanter werden. Etwa die Studien zur Veränderung der Arbeitswelt durch Corona des Organisationspsychologen Hannes Zacher in Leipzig. Ein anderes Beispiel: Unsere Ausschreibung „Perspektiven auf Reichtum“. Armutsforschung ist lange etabliert. Eine neue Perspektive auf das Phänomen der sozialen Ungleichheit bietet die Reichtumsforschung. Hier mangelt es an empirischen, methodischen und qualitativen Studien zu fundamentalen Fragen: Wie entsteht Reichtum? Welches Konfliktpotential bietet Reichtum für verschiedene Gesellschaften? Welche Rolle spielt Reichtum bei der Verteilung von Macht und Einfluss? – Angesichts solcher thematischen Bandbreite mag man sich fragen: Woher kommen diese Förderideen? Die Antwort: Hinter jedem Förderangebot, auch „Schnellschüssen“, die auf Aktuelles reagieren, wie etwa unsere Hilfe für geflohene Forschende aus der Ukraine, stecken die Expertise unserer Förderabteilung, der Input von Fachexpert:innen aus der Scientific Community – und schließlich die Ideen und der Feinschliff aus unserem hochkarätig besetzten Kuratorium. Förderimpulse setzen wir bewusst abseits vom Mainstream. Auch das hat die positive Wahrnehmung der Stiftung geprägt.

Interessant für Forscher/innen in der Schweiz wäre zu wissen, ob die VolkswagenStiftung auch Programme führt, die für Forschende an Schweizer Hochschulen relevant sein könnten?

Auch Hochschulen und Forschungseinrichtungen in der Schweiz sind herzlich eingeladen, sich an unseren Programmen zu beteiligen. Allerdings braucht es dafür in der Regel einen Hauptantragsteller in Deutschland. Das variiert und hat formelle Gründe. Internationale Kooperationen liegen uns sehr am Herzen. Zusammenarbeit über Länder- und Fächergrenzen hinweg sind ein Kernmerkmal vieler Ausschreibungen. Meiner Meinung nach kann man Forschung heute nur international vernetzt betreiben. Darüber hinaus pflegen wir auch als Stiftung seit vielen Jahren einen engen Austausch mit der Scientific Community in der Schweiz. Die letzte Gesamtevaluation unseres Hauses wurde 2019 von einem Professor der Universität Zürich geleitet. Und eine aufwendige Studie über internationale Karrierechancen für Nachwuchsforscher:innen hat unlängst ein Team an der ETH Zürich im Auftrag der Stiftung erarbeitet.

Zum Abschluss – Forschung ist für viele Personen ein abstrakter Begriff, insbesondere wenn man selbst nicht forschend tätig ist. Können Sie uns von einem Forschungsvorhaben erzählen, das dank der VolkswagenStiftung gedeihen konnte und heute auch für „normale Menschen“ erfassbar ist?

„Normale Menschen“ – das ist eine kuriose Formulierung, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten. Da schwingt die Vorstellung mit, Wissenschaft sei ein eigener Bereich, der „normalen Menschen“ nicht zugänglich ist. Ein closed shop. Als wir 2020 unsere neue Förderstrategie aufsetzten, war mir die Etablierung eines eigenen Aufgabenfeldes wichtig, das seither in allen Förderprogrammen enthalten ist. Es geht darum, den Dialog über Wissenschaft zwischen verschiedenen Akteursgruppen zu inspirieren. Das Dach über diesen Aktivitäten trägt den Titel „Wissenschaft in der Gesellschaft“. In diesem Titel soll zum Ausdruck kommen, dass Wissenschaft eben nichts ist, was außerhalb der Gesellschaft stattfindet, sondern ein Teil davon ist. Aber ich sehe schon: Wissenschaft ist kompliziert. Grundlagenforschung sowieso. Deshalb ist die Vermittlung von Wissenschaft eine Herausforderung für sich. Wir haben 2021 rund 15 Mio. Euro bewilligt, um vier Zentren für die Erforschung von Wissenschaftskommunikation zu etablieren. Ich erhoffe mir hier wichtige Impulse für die Theorie und, mehr noch, für die Praxis.

Wir haben viele Projekte, die ganz konkret das Alltagsleben und unsere Zukunft mitbeeinflussen. Aber oft weiß man am Anfang gar nicht, welche Anwendung oder Verbreitung sich am Ende ergibt. Anfang der 1970er Jahre beispielsweise hat die VolkswagenStiftung nach einer heftigen Kontroverse im Kuratorium eine Studie zur Zukunft der Weltwirtschaft bewilligt. Mit der damals stattlichen Fördersumme von einer Mio. D-Mark. 1972 erschien diese Studie unter dem Titel „Grenzen des Wachstums“. Das Buch dazu wurde 3,5 Mio. mal verkauft. Diese Förderung der Stiftung hat wesentlich dazu beigetragen, die Umwelt- und Nachhaltigkeitsdebatte überhaupt in Gang zu bringen, weltweit – auch bei „normalen Menschen“. Gerade haben wir mit einer neuen Förderung den Faden von „Grenzen des Wachstums“ wiederaufgenommen: Wir möchten mit Tenure Track-Professuren den Geowissenschaften eine übergreifende Perspektive auf das System Erde ermöglichen. Diesen ganzheitlichen Ansatz prägen wir mit dem Begriff „Erdsystemwissenschaften“. Ich bin sicher, auch diese Förderung wird in ein paar Jahren dazu beitragen, die Herausforderungen der Zukunft besser zu meistern. Gleichzeitig ist dies unser Beitrag, den wir als gemeinnützige Organisation für das Wohl der Gesellschaft leisten.

Veröffentlicht unter Forschungsförderung, Interview

Öffentlich Kommentieren