
Originalsprache des Artikels: Deutsch
1. Beatrice Zanella, Sie sind Mitglied der Geschäftsleitung und Leiterin des Bereichs Projekte & Partnerschaften bei der Schweizer Berghilfe. Bevor wir über die Tätigkeit der Stiftung reden, würden Sie uns mehr zu Ihrer Person verraten?Gerne. Aufgewachsen bin ich in einer Grossfamilie im Wallis. Ich wollte immer studieren und die Welt erforschen. Leider fehlten uns damals die finanziellen Mittel dazu. Ich besuchte deshalb die Schweizer Tourismusfachschule in der Region. Nach dem Abschluss zog es mich beruflich nach Zürich und nach einem Jahr begann ich als Werkstudentin an der Universität Zürich Volkswirtschaft zu studieren. Neben sozialwirtschaftlichen Fragestellungen hat mich immer auch die Informatik interessiert. Als ich eine Studie über die wirtschaftlichen Folgen der Digitalisierung für den Kanton Zürich verfasste, bot mir die Zürcher Kantonalbank an, die bankinterne Umsetzung zu begleiten. Ich dachte, es wird ein kurzer Abstecher in die Finanzwelt. Schlussendlich wurden daraus 20 Jahre, sehr bald schon in einer Funktion im höheren Management.
Zu meinem 50. Geburtstag entschloss ich mich, nochmals etwas ganz anderes zu machen. Ich wollte meine Erfahrung und mein Wissen für etwas einsetzen, das mir auch persönlich am Herzen liegt. Seit Mitte Juni 2021 arbeite ich nun bei der Schweizer Berghilfe und mein Wunsch hat sich erfüllt. Es ist mein Traumjob.
2. Die Schweizer Berghilfe setzt sich für Menschen in den Schweizer Bergen ein. Aber ab wie vielen Höhenmetern über Meer ist man überhaupt ein(e) «Bergbewohner/in»?Das ist eine gute Frage. Eine einheitliche Definition, was man unter «Berggebiet» oder «Bergbewohner/in» versteht, gibt es nicht und wird es auch nie geben. Denn dies ist abhängig vom jeweiligen sachpolitischen Ziel und Zweck der Definition.
Wir von der Schweizer Berghilfe unterstützen die «Bergbewohner/Innen», weil diese im Vergleich zur urbanen Bevölkerung wirtschaftlich kürzere Spiesse haben. Wir orientieren uns deshalb an der Zonenverordnung des Bundesamtes für Landwirtschaft. Denn das Berggebiet wird hier nach den Kriterien Klimatische Lage (Vegetationszeit), Verkehrslage (Abgeschiedenheit) und Oberflächengestaltung (Steillage) in folgende Zonen unterteilt: Tal- und Hügelzonen, Bergzonen sowie Sömmerungsgebiet. Die Berghilfe unterstützt ausschliesslich Projekte in den Bergzonen und im Sömmerungsgebiet, d.h. im Alpgebiet.
3. Können Sie ein Beispiel eines laufenden Projektes beschreiben, mit welchem der Schweizer Bergbevölkerung aktuell geholfen wird?Spontan fällt mir das farbige und nachhaltige Projekt von Janine Häberle und Ivan Ilijewski ein. Mit ihrem jungen Startup «Schwarzberg Adventure Equipment» verwandeln sie ausgediente Gleitschirme zu hochwertigen Tourenrucksäcken und schaffen damit in einem touristisch geprägten Dorf begehrte Zwischensaison-Jobs.
Es gibt eine Vielzahl von weiteren, beeindruckenden Geschichten über initiative und kreative Menschen in den Bergen, die wir bei der Umsetzung ihrer Projekte unterstützt haben. Auf unserer Webseite sind einige davon nachzulesen.
4. Die Bergregionen kämpfen ja mit einer starken Abwanderung v.a. der jungen Bevölkerung. Mit welchen Massnahmen kann die Stiftung gegen diesen Trend wirken?Gute Ausbildungsmöglichkeiten und ein attraktiver Arbeitsmarkt werden immer dazu führen, dass ein Teil der jungen Bergbevölkerung in die Städte zieht. Es gibt aber auch viele junge initiative und engagierte Menschen, die gerne in den Bergregionen leben und arbeiten. Aufgrund der erschwerten Arbeitsbedingungen gilt es, diese bestmöglich nach dem Prinzip der «Hilfe zur Selbsthilfe» beim Aufbau oder der Weiterentwicklung ihrer Unternehmen zu unterstützen. Die Schweizer Berghilfe entlastet diese jungen Menschen erstens direkt finanziell bei innovativen und zukunftsweisenden Investitionen und Weiterbildungen mit einem A-fonds-perdu-Beitrag. Zweitens indirekt, indem wir uns auch beim Auf- und Ausbau von Kindertagesstätten (Kitas) engagieren.
5. Inwieweit engagiert sich die Stiftung für die Schweizer Bergbauern und generell KMUs in den Bergregionen?Wir unterstützen Kleinunternehmen in den Berggebieten, d.h. solche bis und mit 50 Vollzeitäquivalenten. Mittelgrosse sind für uns schon zu gross, um mit Spendengeldern unterstützt zu werden. Das Besondere an unserer Unterstützung ist, dass der Gesuchsteller bei der Einreichung des Gesuchs bereits alle anderen Finanzierungsmöglichkeiten ausgeschöpft haben sollte.
Wir von der Geschäftsstelle nehmen die Gesuche entgegen und beschaffen die Informationen über die Vermögensverhältnisse, die Investitionskosten und den Businessplan. Dann erhält das eine ehrenamtliche Expertin oder Experte zur Prüfung. Das sind meistens pensionierte Führungskräfte. Diese besprechen den Fall vor Ort mit den Gesuchstellern. Gestützt darauf verfasst sie/er einen Bericht. Ein Gremium von vier Ehrenamtlichen entscheidet dann, wer Geld erhält.
6. Die Schweizer Berghilfe unterstützt Betriebe oder Institutionen in Berggebieten. Wie sieht es aber mit Einzelpersonen aus – können auch Privatpersonen für ein Stipendium, für Nothilfe oder Ähnliches ein Gesuch einreichen?Grundsätzlich unterstützen wir Menschen bei ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit in den Berggebieten. Dies kann auch eine Einzelperson im Rahmen einer Einzelfirma sein. Kommt es dann in einem Betrieb aufgrund von unvorhergesehenen persönlichen Ereignissen zu einer Notsituation und sind die staatlichen und privaten Unterstützungshilfen ausgeschöpft, kann ein Gesuch an die Schweizer Berghilfe gestellt werden.
Wir unterstützen aber auch Aus- und Weiterbildungen von Privatpersonen in Kleinst- und Kleinbetrieben finanziell grosszügig, wenn es sich um betriebsnotwendige Weiterbildungen handelt. Zudem haben wir gemeinsam mit dem Schweizerischen Verband für Erwachsenenbildung (SVEB) ein Programm zur Förderung der Kompetenzen in Digitalisierungsthemen gestartet (Link auf das Angebot). Bei diesem Programm übernimmt die Berghilfe 50% der Weiterbildungskosten.
Auf die finanzielle Unterstützung von Privatpersonen, bei denen die Notsituation nicht zu einer Betriebsgefährdung führt, sind wir nicht ausgerichtet. Da verweisen wir auf die anderen Hilfsorganisationen, die darauf spezialisiert sind.
7. Bei Fundraiso.ch wird das Thema Fundraising immer grossgeschrieben. Deshalb die Frage: Finanziert sich die Stiftung hauptsächlich aus privaten Spendern? Und welche Rolle spielen Förderstiftungen dabei?Jedes Jahr erhalten wir rund 60'000 Spenden. Darunter gibt es grosse Beträge, aber auch kleinere von Einzelpersonen und Verbänden. Sehr wichtig sind bei uns auch Legate und Nachlässe von verstorbenen Personen, die im langjährigen Schnitt über die Hälfte des Sammelertrages ausmachen. Der Anteil der Förderstiftungen am Sammelertrag beträgt bei der Schweizer Berghilfe rund 12%.
8. Zum Abschluss – was sehen Sie als die grösste Herausforderung für die Bewohner/innen der Schweizer Bergregionen in den kommenden Jahrzehnten?Eine Aussage über den Zeitraum von Jahrzehnten wage ich nicht zu machen. Die Folgen des Klimawandels wie Wetterextreme, Vegetationsveränderungen und Wassermangel werden uns sicher vermehrt fordern, und der Abwanderungsdruck von qualifizierten Arbeitskräften wird bleiben. Beides verlangt von der Bergbevölkerung in Zukunft viel Kraft, Ausdauer und Innovationsgeist.
Veröffentlicht unter Interview, Stiftungen Schweiz