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© Petra Küng
Originalsprache des Artikels: Deutsch

Petra Küng, Sie sind Philanthropie-Beauftragte der Stiftung Switzerland for UHNCR. Worin besteht genau Ihre Aufgabe?

Meine Aufgabe besteht darin, Philanthrop:innen in der Schweiz das Mandat von UNHCR näher zu bringen, sie von unserer Arbeit zu überzeugen und sie schliesslich zu einem Engagement zu motivieren. Und dann steht die Beziehungspflege im Fokus: Ich zeige ihnen möglichst nah auf, welchen Unterschied ihre Spende im Leben eines Menschen macht, wie ein Projekt voranschreitet, was die Herausforderungen sind. Es ist mir enorm wichtig, dass Philanthrop:innen sich möglichst nah am Geschehen fühlen. Jede:r Philanthrop:in hat unterschiedliche Interessen, Erwartungen, Vorstellungen. Diese zu verstehen und auf sie einzugehen, braucht viel Fingerspitzengefühl, Ausdauer und Freude an Menschen. Meine Arbeit ist sehr vielseitig, das mag ich!

UHNCR ist eine internationale Organisation. Warum haben Sie eine Stiftung nach Schweizer Recht errichtet?

Heute sind weltweit über 110 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Konflikt oder Verfolgung. Das sind fast doppelt so viele wie noch vor 10 Jahren. Mit diesem Anstieg ist auch der Bedarf an humanitärer Hilfe zum Schutz der Flüchtlinge weltweit grösser geworden und damit an Geld, um das alles finanzieren zu können. Diese Entwicklung stellt UNHCR vor grosse Herausforderungen. Die Gründung eines nationalen Partners und somit der Stiftung in der Schweiz ermöglicht es uns, enger mit der Schweizer Bevölkerung in Kontakt zu treten, um die Anliegen der Flüchtlinge und Vertriebenen greifbarer zu machen und finanzielle Mittel zu beschaffen. Für Privatpersonen und Unternehmen hat unsere Rechtsform den Vorteil, dass sie ihre Spenden von den Steuern abziehen können.

Welches sind die Ziele und Aktivitäten der Stiftung und wo hat sie ihren Sitz?

Wir haben zwei klare Ziele mit Switzerland for UNHCR: Erstens möchten wir die Menschen hier in der Schweiz dazu mobilisieren, die weltweite Arbeit von UNHCR zu unterstützen. Zweitens steht für uns die Informationsarbeit im Fokus: Wir möchten die Bevölkerung auf die Situation der weltweit vertriebenen Menschen und auf unsere Arbeit zu deren Schutz aufmerksam machen.
Unser Hauptsitz ist in Genf, wo die Mehrheit meiner Kolleg:innen sitzt. Wir sind aber auch mit Mitarbeiter:innen in der deutsch- und italienischsprachigen Schweiz präsent. Die Vertretung in den verschiedenen Sprachregionen ist für uns sehr wichtig.

Philanthropie ist sowohl im sozialen- als auch im Flüchtlingsbereich ein wichtiges Thema. Welches ist Ihr persönliches Verständnis von Philanthropie?

Im weiten Sinne bedeutet Philanthropie für mich, materiellen Reichtum für das Wohl der Menschheit zu nutzen. Im engeren Sinne ist es für mich der Wunsch einer Person zu helfen, indem sie Geld spendet oder ihre Zeit, Skills oder ihr Netzwerk zur Verfügung stellt, ohne dabei eine kommerzielle Gegenleistung zu erwarten. Es geht darum, etwas positiv zu verändern und einen nachhaltigen Impact zu kreieren.

In welchen Bereichen arbeitet Ihre Stiftung heute mit privaten Geldgebenden zusammen?

Private Geldgebende unterstützen uns nicht nur in Notsituationen, wenn es darum geht, Flüchtlingen ein sicheres Dach über dem Kopf zu verschaffen. Sie helfen uns auch, diesen Menschen eine Perspektive zu bieten, indem sie beispielsweise unser Stipendienprogramm unterstützen und so Flüchtlingen einen Hochschulabschluss finanzieren.

Wir unterstützen Flüchtlinge bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie an einem sicheren Ort sind – sei es zurück in ihrer Heimat oder in einem anderen Land – und wir begleiten sie beim Wiederaufbau ihres selbstbestimmten unabhängigen Lebens. Entsprechend vielfältig sind die Möglichkeiten für private Geldgebende, mit uns zusammen zu arbeiten.

Was können Philanthrop*innen für Ihre Stiftung leisten, was Staaten nicht können?

Eine sehr spannende Frage! Staaten verfolgen bei ihrem humanitären Engagement eine politische Agenda, sie haben klar strategische Interessen, die die Prioritäten bestimmen.
Philanthrop*innen hingegen fällen persönliche Entscheidungen, welche selten politisch motiviert sind. Sie sind viel stärker emotional in unsere Arbeit involviert. Viele sprechen auch darüber - wenn auch kaum öffentlich, Philanthropie findet in der Schweiz sehr diskret statt. Sie tun dies eher in ihrem persönlichen Netzwerk und können so andere Philanthrop*innen inspirieren, unser Mandat ebenfalls zu unterstützen.
Zudem sind Philanthrop*innen viel näher an der Wirtschaft, entsprechend denken sie auch anders: Sie sind stärker an neuen Formen der Unterstützung interessiert, was für uns enorm wichtig ist, um Innovationen voranzutreiben, wie zum Beispiel unseren Data Innovation Impact Fund. Er erforscht kreative und innovative Ansätze zur Sammlung, Analyse und Visualisierung von Daten durch den Einsatz von Big Data, künstlicher Intelligenz (KI) und anderer Technologien, um unsere humanitäre Hilfe zu verbessern.

Welche neuen Herausforderungen erwarten Ihre Stiftung in naher Zukunft?

Unsere Herausforderung ist ganz klar, unsere Sichtbarkeit und Bekanntheit in der ganzen Schweiz zu steigern. Switzerland for UNHCR gibt es seit drei Jahren – es liegt noch viel Arbeit vor uns, um unseren Namen in den Köpfen der Bevölkerung zu verankern.

Was ist Ihre Vision: Welche Rolle werden Philanthrop*innen für Switzerland for UHNCR morgen spielen?

Eine immens wichtige! Es muss uns gelingen, mehr Philanthrop*innen in der Schweiz für die Anliegen von Flüchtlingen und unser Mandat zu deren Schutz zu gewinnen. Warum?
Die Realität ist besorgniserregend: Wir zählen heute die höchste Anzahl gewaltsamer Konflikte seit dem Zweiten Weltkrieg. Auch der Klimawandel spielt eine Rolle: Er verstärkt den Wettstreit um die Ressourcen - Wasser, Nahrungsmittel, Weideland - und daraus können sich weitere Konflikte entwickeln. (80% der Flüchtlinge heute stammen aus armen krisengeschüttelten Ländern, die vom Klimawandel betroffen sind, aber kaum Ressourcen haben, um die Auswirkungen zu verhindern oder abzumildern.) Diese Fluchtbewegungen stellen auch die Schweiz vor Herausforderungen. Spätestens der Kriegsausbruch in der Ukraine hat uns dies klar vor Augen geführt. Zwar haben wir zum ersten Mal in unserer Geschichte den Flüchtlingsstatus S aktiviert und Ukrainer*innen vorläufig sofort aufgenommen. Die Empathie zu Beginn war gross, doch nun ist sie bereits am Bröckeln. Nationale Wahlen stehen an und mit dem Flüchtlingsthema lässt sich leicht Politik machen. Wir brauchen ein Gegengewicht und hier kommen Philanthrop*innen ins Spiel. Menschen, die an dauerhaften Lösungen interessiert sind und mithelfen, diese zu realisieren. Den «Quick-Fix» in der Flüchtlingsthematik gibt es nicht, auch wenn sich den viele wünschen.

Welches wird Ihr persönlicher Beitrag sein, welche Impulse, welche Dynamik wollen Sie dieser Arbeit verleihen?

Ich möchte vor allem zwei Ziele erreichen: Brücken bauen und Menschen zur Reflexion anregen. Brücken schlagen zwischen Menschen auf der Flucht, die auf unsere Hilfe angewiesen sind und Philanthrop*innen, die diese Menschen auf dem Weg zurück zu einem selbstbestimmten und unabhängigen Leben unterstützen.
Menschen zur Reflexion anregen, indem ich Flüchtlingen eine Stimme gebe und ihre Geschichte weitererzähle. Ich hatte die grossartige Gelegenheit, mehrere Jahre auf dem Feld zu arbeiten. So war ich zum Beispiel 2016 für eine lokale NGO im Libanon tätig, als Hunderttausende Syrierinnen und Syrer vor dem Krieg in den Libanon fliehen mussten. Wir haben ihnen Lebensmittel, Decken und Hygieneartikel verteilt. Und ihnen zugehört. Ihr Leben war vor dem Krieg nicht viel anders als meines. Diese Tatsache ist für viele hier in der Schweiz noch zu abstrakt – das möchte ich ändern.

Publié dans Interview

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