Wer meint, heute seien wir stark vernetzt, muss sich wohl neu besinnen. Was in den nächsten zehn Jahren passieren wird, mag zwar in den Sternen geschrieben stehen. Nur: Die Vernetzung wird sich wie eine Atomwolke ausdehnen. Mehr von allem – Inhalte, Kanäle und Möglichkeiten, während die Bezugsgruppen immer kleinräumiger eingegrenzt, besser und genauer identifiziert und selektiert werden können und angesprochen werden müssen. Geschwindigkeit, Frequenz, Anwendungsmöglichkeiten, Dimension und Aufwand, um hier die unverzichtbare Präsenz zu markieren, werden uns schlicht überrollen.

Was über unzählige Kanäle und Plattformen gezielt oder flächendeckend verteilt werden kann, wird verteilt werden. Am Ende steht die Adressatin, der Adressat und wird nicht in der Lage sein, die Masse an Botschaften, Bildern und Emotionen zu erfassen, geschweige denn, zu verdauen. Sicher bleibt die Frage der intelligenten Handhabe: Identifikation relevanter Zielgruppen, Verteilung relevanter Inhalte auf der einen, Filtern auf der anderen Seite. Aber bei so viel Konkurrenz, ja Kakophonie im Kommunikationsmarkt, wie kann man da noch punkten, wer wird überleben? Und wie soll es dem Adressaten nicht „Sturm“ werden?

Sind die Organisationen – ob profit- oder non-profit-orientiert – bereit für diesen Wandel? Mitnichten. Werden ältere Mitarbeitende und Führungskräfte oder jüngere sich besser zurechtfinden? Schwer zu sagen. Entgegen vieler Vorurteile und scheinlogischer Argumentationen zeichnet sich gerade die digitale Generation auch durch viel unbewusstes Nichtwissen und elementare Fehler aus, die von Ressourcenverschwendung bis Ressourcenvernichtung reichen.

Während die Disruption bestehender Prozesse unaufhaltbar voran schreitet, ist eines sicher: Unabhängig von Alter, Job und Hierarchiestufe haben sich alle neben dem traditionellen Wissen auch mit der Digitalisierung, ihren Möglichkeiten und ihrer Logik auseinanderzusetzen. Der Verzicht darauf ist schon am Billetautomaten (Fahrkartenautomaten) nicht mehr möglich, der den Schalter ersetzt. Wie wenig wird Verzicht möglich sein in Organisationen, die sich behaupten wollen? Da muss eine neue Alphabetisierung stattfinden, die alle Organisationsebenen und –einheiten betrifft.

Ganz besonders haben sich die Führungskräfte mit den neuen Kräften auseinanderzusetzen, um die Chancen zu identifizieren, die sich daraus ergeben, und die Risiken. Es geht darum, langfristige Muster zu erkennen und diese für die eigene Organisation zu übersetzen. Und zwar über den gegenwärtigen Lärm hinaus. Es geht darum, Perspektiven auszuloten. Ressourcen zu allozieren. Veränderungen auszulösen und zu managen. Die Zukunft der eigenen Organisation ständig weiter zu gestalten. Ängste zu beseitigen. Immer aber in Kenntnis dessen, was abgeht.

Das bedeutet noch lange nicht, sich kopfüber in die digitale Welt zu stürzen und jeden Fad mitzumachen. Schon gar nicht für traditionelle Organisationen mit eingewachsener Kultur. Denn so sind Scheitern und Demotivation vorprogrammiert. Aber die Modellierung der Zukunft muss als kontinuierlicher Prozess erkannt werden, und sie beginnt mit der obersten Führungsebene, die sich selbst digital alphabetisiert, unabhängig von Alter und Branche. Wissen und Können, traditionell und erweitert um das Neue: Das ist Teil der neuen, noch komplexeren Form von Leadership. Dass viele Führungskräfte digital nahezu inexistent sind, spricht nicht gerade für sie.

Prof. Rodolfo Ciucci
Dozent für Kommunikation
Fachhochschule Nordwestschweiz
Hochschule für Wirtschaft
rodolfo.ciucci@fhnw.ch

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Veröffentlicht unter Digitalisierung

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