
Wie in diesem Blog bereits behandelt, hat sich Crowdsourcing mittlerweile als Instrument für die Schwarmfinanzierung innovativer Projekte oder Geschäftsideen etabliert. Verschiedene Plattformen bieten die Leistung an. So mag es an der Zeit sein, das Instrument auch zu hinterfragen.
Kürzlich konnte ich Gespräch mit dem Vorstand einer kleinen humanitär ausgerichteten NPO einige kritischere Aspekte dieser Finanzierungsform nachvollziehen. Die Organisation war im Begriff, ihre Fundraising Strategie zu überprüfen und wollte gezielt Crowdsourcing ins Instrumentarium einbauen. Der Vorstand entschloss sich prinzipiell, allerdings mit der Möglichkeit von Ausnahmen, dagegen.
Welche Überlegungen leiteten den Vorstand bei diesem Entscheid? Dazu ein paar Hintergrundinformationen: Die Organisation ist lokal gut verankert und verfügt über eine zuverlässige Spenderbasis, die der Organisation nahe steht und mit der sie regen Kontakt pflegt. Die zentralen Kommunikationsmittel der Organisation sind eine ansprechende Webseite sowie ein gut gepflegtes Facebook-Profil. Beide werden in etwa wöchentlich oder sogar noch häufiger mit News angereichert. Der weitere Kontakt erfolgt über mehrere Anlässe, die Jahr für Jahr organisiert werden: Konzerte, Auftritte an Märkten, gemeinsame Wanderungen. Darüber hinaus verschickt der Verein mehrmals jährlich einen attraktiven Newsletter. Ebenso mehrmals jährlich werden individuell personalisierte Briefe und Mails an Mitglieder und Freunde verschickt. Mit diesen Massnahmen gelingt es, die notwendigen Mittel zu sammeln, um die Vereinsziele zu erfüllen. Nachdem alle Kosten für die Fundraising-Aktivitäten vom Vorstand und den Mitgliedern getragen werden, fallen dabei abgesehen von ein paar Franken Bankgebühren kaum Kosten an.
Um erfolgreiches Crowdsourcing betreiben zu können, sind einige grundlegende Bedingungen zu erfüllen: Der Sammelzweck muss klar umgrenzt und in einer konkreten, attraktiven Story verpackt sein. Ausführliche Projektbeschriebe, Fotos, Videos sind unerlässlich. Diese Bedingung hätte die NPO gut erfüllen können. Sie hat viele inhaltlich überzeugende und emotional ansprechende Geschichten zu erzählen.
Die Problematik ergibt sich jedoch schon bei der nächsten Bedingung: Damit eine Crowdsourcing-Kampagne erfolgreich sein kann, müsste die Organisation sehr schnell rund ein Drittel des gewünschten Crowdsourcing-Betrags auf der Plattform Nummer sicher haben. Denn Spender lassen sich nicht nur von der Story überzeugen, sondern wollen schnellen Erfolg sehen. Um auf den fahrenden Zug zu steigen wollen viele sicher sein, dass das Ziel erreicht wird, nach dem Motto: Was alle unterstützen muss gut sein. Dazu hätte die Organisation die eigenen bereits freundlich gesinnten Spender ansprechen und motivieren müssen, über diesen Kanal zu spenden. Das, so sagte mir der Vorstand, hätte seines Erachtens vier negative Rückwirkungen: Erstens hätte das automatisch zu einer Selbstkonkurrenzierung geführt. Zweitens hätten die Kosten für die Crowdsourcing-Plattform den Spendenertrag geschmälert, sofern das Crowdsourcing-Ziel erreicht worden wäre. Dazu ist zu sagen, dass der Vorstand der Meinung war, dass neben den bereits bestehenden Spendern kaum neue gewonnen worden wären. Drittens wäre das Ganze hinfällig geworden, wenn der gewünschte Betrag nicht erreicht worden wäre: In den allermeisten Fällen kommt beim Crowdsourcing ja das Alles-oder-Nichts-Prinzip zum Tragen. Wird der anvisierte Betrag im vorher definierten Zeitraum nicht erreicht, fliessen die Spenden wieder zurück zu den Geldgebern. In diesem Fall sah der Vorstand die Gefahr, dass die aktuellen Spender auch bei einem Nicht-Zustandekommen der Sammlung kein zweites Mal für den Verein gespendet hätten, in der Überzeugung, bereits einmal eine Spendenzusage gemacht zu haben.
Aus diesen Gründen hat sich der Vorstand letzten Endes gegen strategisches Crowdsourcing entschieden. Der Verein wird aber die Crowdsourcing-Szene beobachten und behält sich die Möglichkeit vor, im Notfall, bei ganz akuten Ereignissen, die eine schnelle Mittelbeschaffung erfordern, auf diese Form des Fundraising zurückzugreifen.
Im Gegenzug erachtete der Vorstand eine verstärkte, proaktivere Zusammenarbeit mit Stiftungen als sinnvoll. Dazu mehr in einem folgenden Blog.
Prof. Rodolfo Ciucci
Dozent für Kommunikation
Fachhochschule Nordwestschweiz
Hochschule für Wirtschaft
rodolfo.ciucci@fhnw.ch